Das Erdgasabkommen zwischen Libanon und Israel: Der Weg aus der Krise?

Einigung

Im Herbst 2022 einigten sich die Nachbarstaaten Israel und Libanon auf den gemeinsamen Grenzverlauf vor der Küste. Dem unter amerikanischer Vermittlung zustande gekommenen Abkommen geht ein jahrelanger Grenzdisput voraus um die Aufteilung von Erdgasvorkommen in den umstrittenen Gewässern.

Konkret geht es um die beiden Felder Karisch und Kana. Mit dem Grenzverlauf entlang der sogenannten Linie 23, fällt Karisch vollumfänglich in israelische Hoheitsgewässer, während ein Grossteil des Kana-Feldes Libanon zufällt.

Mit der Einigung steht der Weg nun frei für beide Staaten ihre jeweiligen Erdgasreserven zu erschliessen und kommerziell zu nutzen. Die Voraussetzungen dafür könnten nicht unterschiedlicher sein.

Welche Rolle spielt das Kana-Feld für die wirtschaftliche und energiepolitische Zukunft Libanons? Dieser Frage gehe ich in diesem Post nach.

Das Versprechen

Von der Erschliessung und Ausbeutung der Erdgasvorkommen im Kana-Feld verspricht sich Libanon, das in der schwersten Wirtschaftskrise seit Ende des Bürgerkrieges steckt, Exporteinnahmen oder mehr Stromsicherheit für die Zukunft. Ob etwas von beidem eintrifft, hängt massgeblich von drei Faktoren ab: Dem Ausmass der Vorkommen, der Infrastruktur, und dem politischen Willen.

Ausmass

Damit sich eine Erschliessung und Förderung überhaupt lohnt, braucht es genügend grosse Vorkommen. Im Unterschied zum Karisch-Feld, wo Gasreserven bestätigt sind und Israel bereits mit der Förderung begonnen hat, ist Erdgas im Kana Feld bisher blosse Vermutung. Das mit der Förderung beauftragte Energiekonsortium bestehend aus Eni, TotalEnergies und QatarEnergy, hat deshalb weitere Testbohrungen für das Jahr 2023 angekündigt.

Selbst wenn sich vorläufig Prognosen erhärten, bleibt abzuwarten, ob die Unternehmen eine Kommerzialisierung als rentabel einschätzen – Erfahrungen aus Testbohrungen im Block 4 weiter nördlich (das Kana-Feld liegt im Block 9) haben gezeigt, dass dies nicht immer der Fall ist. Ob Kana rentabel sein wird, hängt wiederum mit den Faktoren zwei und drei zusammen: der Infrastruktur und dem politischen Willen der Eliten.

Infrastruktur

Seit dem Ende des Bürgerkrieges 1990 verkümmert die öffentliche Infrastruktur in Libanon unter der Misswirtschaft und dem Desinteresse der politischen Elite. Der Energie- und Stromsektor steht exemplatisch dafür: Der staatliche Stromkonzern Électricité du Liban EDL liefert seit rund zehn Jahren nur noch Strom für drei bis vier Stunden pro Tag. Die restliche Zeit beziehen Libanes:innen, die es sich leisten können, den Strom aus eigenen oder gemieteten Dieselgeneratoren – der so entstandene Schwarzmarkt trägt zu den überrissenen Preisen im Stromsektor bei.

Erdöl, in Form von Diesel und Schweröl, spielt bei der Stromproduktion in staatlichen Kraftwerken und privaten Dieselgeneratoren ein zentrale Rolle und ist für rund 90 Prozent der libanesischen Energieversorgung verantwortlich. Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne werden zwar immer wichtiger in der staatlichen Energieagenda, die anhaltende Wirtschaftskrise und mangelnde Infrastruktur machen eine rasche Transition aber unrealistisch.

Als sauberster unter den fossilen Energieträgern spielt Erdgas im politischen Diskurs deshalb eine wichtige Rolle bei der Adressierung der Energiekrise. Falls sich Vorkommen im Kana-Feld bestätigen, soll diese längerfristig einen Grossteil des inländischen Strombedarfs decken.

Dafür sind jedoch upstream und downstream hohe Investitionen notwendig: Es braucht Geld zu Erschliessung des Feldes und dem Transport ans Festland, und bei der Umrüstung auf Gaskraftwerke und dem Ausbau des überlasteten Stromnetzes.

Die Umrüstung des Sektors auf Erdgas braucht deshalb Zeit und Geld: Optimistische Stimmen gehen davon aus, dass eine kommerzielle Förderung frühestens in fünf Jahren möglich ist, realistischer sind eher zehn. Gleichzeitig bleibt offen, ob die Energieunternehmen Eni, TotalEnergies und QatarEnergy bereit sind, längerfristig in einem Land zu investieren, das auf Platz 150 von 180 auf dem Corruption Perception Index rangiert.

Der Staat selbst ist auf ausländische Finanzierung angewiesen, um den Energiesektor auf die Gasnutzung umzurüsten und das Stromnetz auszubauen – Letzteres ist grösstenteils unabhängig von der Erschliessung der Erdgasreserven im Kana-Feld und gilt auch, falls Erdgas oder sonnigste Energie aus dem Ausland importiert wird. Zwar handelt es sich bei den Kraftwerken Deir Ammar und Zahrani ursprünglich um Gaskraftwerke. Da Libanon aber in den letzten Jahrzehnten fast seine gesamte Stromerzeugung auf Erdöl ausleget hat, wurden diese umgerüstet. Mangels Ersatzteilen ist eine rasche Wiederaufnahme der Stromerzeugung aus Erdgas in diesen beiden Kraftwerken nicht realistisch. Zudem braucht es weitere Gaskraftwerke, um den nationalen Strombedarf zu decken.

Für eine reibungslose Transition der nationalen Stromproduktion zum Erdgas hin, ist zudem das Timing zentral. Erschliessung, Förderung, Transport, und Stromproduktion müssen abgestimmt sein, um Ausfälle aufgrund von Flaring (deutsch abfackeln) zu vermeiden. Im Fall von Libanon heisst das: falls EDL nicht rechtzeitig zusätzliche Gaskraftwerke errichtet und das Kana-Feld damit verbunden wird, muss bereits gefördertes Gas abgefackelt werden. Dies verursacht Stromausfälle, Mehrkosten und ist eine Belastung für die Umwelt.

Bis zur Erreichung der vollen Förderkapazität aus dem Kana-Feld ist Libanon auf Erdgasimporte aus dem Ausland angewiesen. Entweder aus den Nachbarstaaten Syrien und Ägypten via der Arab Gas Pipeline, über welche bereits im Jahr 2009 für kurze Zeit Erdgas in den Libanon floss. Oder aus Überseeimporten von Flüssiggas (liquified natural gas LNG), was weitere Invsetionen bedingen würde.

Für die Speicherung und Verdampfung von Flüssiggas zur Stromerzeugung braucht es sogenannte FSRU (eng. floating storage and regasification unit). Diese schwimmenden Einheiten sind zwar variabel einsetzbar, jedoch teuer im Erwerb und Unterhalt. Speisen die Gasreserven aus dem Kana-Feld eines Tages den gesamten libanesischen Strombedarf, sind die FSRU redundant.

Angesicht dieser Kosten wäre ein zukünftiger Strompreis für libanesisches Erdgas hoch. Die Gewinnschwelle (breakeven price), ab welcher die Gasförderung kommerziell Sinn ergibt, ist zentraler Referenzpunkt für das Energiekonsortium bei der Entscheidung, ob ein Feld erschlossen werden soll oder nicht.

Zudem stellt sich die Frage, ob EDL als staatlicher Abnehmer einen solchen Preis zahlen könnte; aktuell ist der Konzern zahlungsunfähig und gilt als Symbol des korrupten politischen Systems in der Bevölkerung.

Eine Alternative zur Nutzung für die eigene Stromproduktion ist der Export. Tatsächlich hat die letzte Regierung prognostizierte Einnahmen aus zukünftigen Erdgasexporten bereits im Budget für das Jahr 2019 berücksichtigt. Also noch vor dem Abkommen mit Israel, das eine Erschliessung des Kana-Feldes erst ermöglicht hatte.

Doch auch beim Export sind weitere Investitionen nötig, um Absatzmärkte zu erschliessen. Zwar kann der Staat Erdgas über die Arab Gas Pipeline exportieren. Da sowohl Syrien wie auch Ägypten über eigene Gasreserven verfügen, sind dies Märkte aber wenig aussichtsreich.

Um Erdgas nach Europa zu exportieren, ist mangels Pipelineverbindungen der Transport per Frachtschiff nötig. Dafür muss das Rohgas zuerst verflüssigt und in LNG-Speichern gelagert werden, die Libanon aktuell nicht hat.

Mittel- und langfristige Prognosen zur gloabalen Nachfrage nach Erdgas sind zudem aktuell höchts unsicher. Aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist der Preis zwar gestiegen, die globale Nachfrage aber stagniert: einige Staaten setzen erneut auf Erdöl und Kohle, um mehr Energiesicherheit zu schaffen. Andere können sich unter dem aktuellen Globalpreis den Import nicht mehr leisten. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach LNG in für Libanon interessanten europäischen Absatzmärkten gestiegen, nachdem Russland seine Gasexporte drosselte.

Bei einer längerfristigen Exporstrategie muss zudem der globale Trend hin zu erneuerbaren Energien berücksichtigt werden. Besonders in Europa spielen diese eine immer wichtigere Rolle.

Ob für die eigene Stromproduktion oder den Export auf den Weltmarkt, die kommerzielle Nutzung von libanesischem Erdgas bedingt hohe Investitionen für die beteiligten Energieunternehmen und den Staat. Angesichts der Wirtschaftskrise und einer der höchsten Staatsverschuldungen gemessen am Bruttoinlandsprodukt (IMF Stand 2020), ist dieser dafür auf ausländische Kreditoren angewiesen. Doch deren finanzielle Unterstützung setzt politische Reformen im Energiesektor voraus. Und dafür brauchte es den poltischen Willen der Elite.

Wille

Reformen in Libanon sind erfahrungsgemäss schwierig, solange die politische Elite nicht davon profitiert. In einem System, wo politische Machtverteilung auf konfessioneller Zugehörigkeit beruht, sind Klientelismus und Misswirtschaft an der Tagesordnung. Die seit dem Ende des Bürgerkrieges regierende Elite – in wechselnder Konstellation stellen sie die Regierung oder blockieren die Bildung ebendieser – bezieht ihre Macht aus der klientelistischen Verteilung öffentlicher Ämter und gezielten Bereitstellung von Dienstleistungen an die eigene Wählerbasis.

Der desolate Zustand der öffentlichen Infrastruktur und des Energiesektors sind Symptom dieser Politik. Statt einer effizienten Bereitstellung und Wartung des Stromnetzes zugunsten der Gesamtbevölkerung, werden öffentliche Arbeiten nach politischem Kalkül entschieden – dies gilt beispielsweise auch für den Gesundheitssektor.

Eine unterbesetzte Bürokratie, mangelnde Regulierung und weit verbreitete Korruption im Stromsektor führten seit 1990 zu rund 40 Milliarden US Dollar Schulden. Das sind rund 43 Prozent der gesamten Staatsverschuldung.

Massnahmen zur Korruptionsbekämpfung und mehr Transparenz im Energie- und Stromsektor unter der im Oktober 2022 zurückgetretenen Regierung sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen. Dazu zählen die Offenlegung von Eigentumsverhältnissen und der Beitritt zur Extractive Industries Transparency Initiative (deutsch Initiative für Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor).

Gemäss dem Offshore Petroleum Ressource Law aus dem Jahr 2010 (deutsch Gesetz zu Hochsee Petroleumressourcen) ist der libanesische Staat zudem verpflichtet, für die Einnahmen aus der Erdöl- und Erdgasindustrie einen Staatsfond einzurichten. Auch hier besteht ein Risiko, dass Geld daraus in die Tasche der Eliten fliesst und nicht der breiten Bevölkerung in Form von öffentlichen Investitionen zugute kommt.

Damit Erdgas aus dem Kana-Feld wirtschaftlich attraktiv ist und Einnahmen daraus der Gesamtbevölkerung zugute kommen oder eine bessere Stromversorgung gewährleistet wird, braucht es politische Reformen. Dass Politiker:innen die vermuteten Vorkommen primär als Lebensretterin für die Wirtschaft und die Stromknappheit sehen ohne dabei politische Reformen anzuführen, lässt schlechtes vermuten. Wie die Weltbank in ihrem Bericht zur Sanierung des Energiesektors treffend festhielt: Die technischen Lösungen sind bekannt, der politische Wille nicht vorhanden.

Die Rolle der internationalen Akteure

Ausländische Kreditoren und internationale Geberinstitutionen sind zentral, damit das Potential aus dem Kana-Feld realisiert wird. Mit zunehmender Verschuldung ist der libanesische Staat auf ausländisches Geld angewiesen. Bisherige Finanzierungsrunden und -pakete wurden an politische Reformen in diversen Sektoren gekoppelt. Dabei steht auch der Energiesektor im Fokus der Kreditoren, allen voran den Bretton Woods Institutionen Weltbank und internationaler Währungsfonds IWF und der Geberländer USA und Frankreich.

Mit Blick auf die Erschliessung der Reserven kommt diesen auch in Zukunft eine tragende Rolle zu. Denn neben hohen Investitionen in Infrastruktur und Transport müssen eingeleitete Transparenzmassnahmen unbedingt weiterverfolgt werden, um die Investitionssicherheit für die Beteiligten Energieunternehmen und weitere Investoren zu garantieren.

Nur durch internationalen Druck auf die politischen Eliten können Teilreformen erreicht werden. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, wird sich das System nicht von innen heraus reformieren.

Bleibt die internationale Finanzierungshilfe aus, droht der Staatsbankrott und die wirtschaftliche und politische Krise wird sich zuspitzen, mit potentiell gravierenden Konsequenzen für das Land und die Region.

Internationale Unterstützung, finanzielle und technische, bei der Transition des Energiesektors vom Erdöl hin zu Gas kann jedoch nur eine Übergangslösung sein. Längerfristig muss auch Libanon die Wende hin zu erneuerbaren Energien anstreben, wie die ganze Welt.

Bis dahin ist die Stromproduktion mittels Erdgas aber sinnvoll – zuerst aus importierten Erdgas aus Ägypten via der Arab Gas Pipeline und mittelfristig aus der Förderung im Kana-Feld. Einerseits ist Strompreis für Erdgas günstiger als Erdöl. Niedrigere Strompreise und eine zuverlässigere Stromproduktion würden deshalb die sozioökonomische Lage vieler Libanese:innen deutlich verbessern.

Expert:innen weisen daraufhin, dass die bisherige Subventionspolitik der Regierung im Strommarkt nicht nachhaltig war. Ein Grund für die zunehmende Energiekrise ist dann auch, dass die Regierung mangels Liquidität die Stromproduktion nicht weiter subventionieren konnte. Der erhöhte Strompreis wird mittelfristig bestehen bleiben.

Erhöht sich gleichzeitig jedoch die staatliche Stromproduktion, ist die Bevölkerung weniger auf Strom aus privaten Dieselgeneratoren angewiesen. Die Kosten für diese und regelmässige Engpässe beim Schweröl und Diesel führten in der Vergangenheit insgesamt jedoch zu höheren Stromkosten pro Kopf, als dies der Fall wäre bei einer vollumfänglichen Stromproduktion aus Gaskraftwerken.

Andererseits ist Erdgas deutlich umweltfreundlicher als die Stromgewinnung aus Erdöl. Aktuell belasten die staatliche Stromporduktion und die zahlreichen Dieselmotoren in Privathaushalten die Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung massiv: Im Umland von Kraftwerken besteht ein erhöhtes Risiko für Lungen- und Krebserkrankungen. Allgemein trägt die Stromerzeugung aus Erdöl zur schlechten Luftqualität im Kleinstaat bei.

Die Transition hin zum Erdgas ist deshalb in mehrer Hinsicht wichtig: Für den libanesischen Staatshaushalt, und für die sozioökonomische Lage und Gesundheit der Bevölkerung. Dies heisst nicht, dass die globale Trendwende hin zu erneuerbaren Energien ignoriert werden soll.

Kurz- und mittelfristig hat die Lösung der politischen und wirtschaftlichen Probleme im Land jedoch Priorität. Libanesisches Erdgas kann teilweise dabei helfen, die Staatskassen zu füllen oder den Strombedarf zu decken. In beiden Fällen sind jedoch ergänzende Massnahem nötig.

Die Erschliessung und Förderung der Gasreserven im Kana- Feld, falls diese in genügendem Ausmasse vorhanden sind, bieten eine einzigartige Gelegenheit dazu. Egal ob der Staat damit den nationalen Strombedarf deckt oder libanesisches Erdgas in Asatzmärke in Europa oder anderswo exportiert. Zentral dabei ist: Die breite Bevölkerung muss davon profitieren.

Die internationale Gemeinschaft kann hierbei helfen. Einerseits durch Druck auf die Politik und die Kopplung der Finanzierung an Teilreformen im Energie- und Stromsekto. Und andererseits durch technische Unterstützung und Wissenstransfer. Sei es bei der Projektierung und Umsetzung bei der Energiegewinnung und Stromerzeugung aus Erdgas und erneuerbaren Energien, oder der Einrichtung eines Staatsfonds für mögliche Einnahmen aus dem Export.

Das Abkommen mit Israel ist historisch. Nicht nur, da sich die beiden Staaten seit 1948 im Kriegszustand befinden. Sondern weil es Libanon einen möglichen Weg aus der Energie- und Wirtschaftskrise bietet. Die internationale Gemeinschaft hat eine Rolle dabei zu spielen, ob sie will oder nicht. Sie sollte diese Wahrnehmen.

Aber dafür braucht es zuallererst Gas im Kana Feld.