Vom Wiederaufbau Syriens profitiert in erster Linie das Regime. Die Bevölkerung geht leer aus

Mit dem absehbaren Ende der Kampfhandlungen in Syrien tritt der Konflikt in eine neue Phase. Nachdem das Regime mithilfe von Iran und Russland weite Teile des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht hat, rückt die Frage des Wiederaufbaus ins Zentrum.

Wer sich daran beteiligt und davon profitiert, kann dabei weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen haben. Im Fall Syriens gibt das im April 2018 erlassene Gesetz 10 Aufschluss darüber. Dieses erlaubt es den Regional- und Lokalregierungen, Gebiete in ihrem Verwaltungsbereich in sogenannte Entwicklungszonen umzuwandeln, angeblich um den Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. Dass dabei vor allem privatwirtschaftliche und politische Interessen des Regimes eine Rolle spielen, ist absehbar.

Zum einen erlaubt das Gesetz den Regierungen Privatbesitz in den Entwicklungszonen zu konfiszieren, falls dieser nicht im Kataster erfasst ist. Zwar haben Betroffene in diesem Fall die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres ihre Besitzansprüche durch die Einreichung entsprechender Unterlagen zu belegen. Da sich die meisten der designierten Entwicklungszonen in ehemaligen Hochburgen der Opposition befinden, ist jedoch fraglich, wie viele tatsächlich davon Gebrauch machen werden – Berichte von zurückgekehrten Personen, die nach ihrer Ankunft in Syrien verhaftet wurden und seitdem verschwunden sind machen wenig Hoffnung. Ebenfalls ist zweifelhaft, ob die nötigen Besitzdokumente in den Wirren des Konflikts überlebt haben und ehemalige Bewohner und Bewohnerinnen, die im Zuge der Kämpfe geflüchtet sind, über die bevorstehende Enteignung Bescheid wissen. Dass ein Grossteil der Geflüchteten ihren Besitz verlieren und nicht mehr zurückkehren wird, ist wahrscheinlicher.

Aber auch Personen, deren Besitz registriert ist, droht Unheil. Denn das Gesetz Nummer 10 verbietet es, Grundeigentum oder Immobilien zu verkaufen oder selbst zu sanieren. Stattdessen erhalten sie Anteile an den Entwicklungszonen. Dafür hat die Regierung eigens Aktiengesellschaften gegründet. Falls ehemalige Besitzerinnen und Besitzer nicht auf längerfristige Renditen aus diesen Anteilen warten wollen, können sie diese auch an Investoren verkaufen oder selbst ein Unternehmen zur Entwicklung einer Parzelle gründen.

Was auf den ersten Blick nach einem rechtlich geregelten Wiederaufbau unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung aussieht, entpuppt sich als Farce. Einerseits ist klar, dass es den meisten Betroffenen an den nötigen finanziellen Mitteln fehlt, um selber Bauprojekte zu realisieren. Andererseits lohnt sich ein Verkauf der Anteile nicht, da sich deren Wert am ursprünglichen Marktpreis des Eigentums vor dessen Eingliederung in die Entwicklungszonen orientiert. Eine angemessene Entschädigung oder echte Mitgestaltung am Wiederaufbau in den Entwicklungszonen bleibt den Bewohnerinnen und Bewohnern somit verwehrt.

Davon profitieren werden hingegen regimenahe Unternehmer wie Rami Makhlouf, ein Cousin von Präsident Asad und Leiter des syrischen Mobilfunkunternehmens SyriaTel. Makhlouf hat bereits in ein Bauprojekt in einer Entwicklungszone südlich von Damaskus investiert. Unter dem Namen «Marota City» soll in Basatin Al Razi eine idyllische Wohnanlage entstehen. Dass dessen Bewohnerinnen und Bewohner nicht dieselben sein werden wie zuvor ist anzunehmen – vor Ausbruch des Konflikts war Basatin al-Razi ein informelles Wohngebiet der Unterschicht.

Im Lichte solcher Veränderungen unterstellen einige kritische Stimmen dem Regime noch weitaus düsterer Absichten, die über rein privatwirtschaftliche Interessen hinausgehen: So soll das Gesetz Nummer 10 Asad dazu dienen, die Zusammensetzung der syrischen Bevölkerung nachhaltig zu seinen Gunsten zu verändern. Es sei demnach kein Zufall, dass das Regime vorwiegend ehemalige Gebiete der Opposition zu Entwicklungszonen erklärt. Mit den weitreichenden Befugnissen, die das Gesetz den Regional- und Lokalregierungen verleiht, stehen diesen nichts mehr im Wege, um die unliebsamen Bewohnerinnen und Bewohner dieser Gebiete zu enteignen oder mit minimalen Abfindungen vom Wiederaufbau auszuschliessen. Da ein Grossteil der Bevölkerung ohnehin im Zuge der anhaltenden Regimeangriffe geflüchtet ist, stehen mit dem Gesetz Nummer 10 Tür und Tor offen, um diese an der Rückkehr zu hindern und eventuelle Besitzansprüche längerfristig zu unterbinden. Ob solche Umwälzungen tatsächlich in grossem Masse eintreten werden und anstelle der ehemaligen vom Regime als feindlich angesehenen Bevölkerung neue regimetreue Bewohnerinnen und Bewohner treten werden, bleibt abzuwarten.

Dieser Post wurde ursprünglich im Juli 2019 verfasst.